Bereits mit der Einladung zur Anhörung im Landgericht Frankfurt (Oder) war den Beteiligten klar: Der Wind im Land Brandenburg hat sich gedreht. Denn am 27. Juni 2019 wurde mit dem Fall von Andrè Pahl erstmals öffentlich ein Rehabilitationsverfahren eines ehemaligen Insassen des DDR-Kindergefängnisses Bad Freienwalde verhandelt. Neu ist auch, dass der Betroffene hierbei persönlich angehört und Zeugen zu den damaligen Geschehnissen befragt wurden. Das ist ein Paradigmenwechsel: Bisher wurden die Verhandlungen nach Aktenlage, ohne persönliche Anhörung und ohne Zeugenbefragung durchgeführt.
Pahl hatte sich für den Tag eigens ein Shirt der Rockband Metallica angezogen. In fetten Lettern prangt darauf "And justice for all" ("Und Gerechtigkeit für alle"). Eine Zeitung wird später sagen, es sei für ein Gericht eine eher unübliche Kleindung aber es mache aus Sicht der Betroffenen durchaus Sinn. Andrè Pahl hat schon zwei verlorene Verfahren ohne Anhörung hinter sich. Er ließ nicht locker und beantragte die Wiederaufnahme. Gleich zu Beginn der Verhandlung folgte der Paukenschlag. Die Vorsitzende Richterin Solveig Seidel erklärte: Für die Menschen, die dort zu DDR-Zeiten leben mussten, ist es aber schwer zu ertragen, wie Kriminelle behandelt zu werden. Deshalb lege das Gericht nun einen großen Wert darauf, dass amtlich festgestellt wird: Sie waren zu Unrecht dort.
Zur ersten öffentlichen Gerichtsverhandlung in einem Rehabilitationsverfahren eines ehemaligen Insassen des DDR-Kindergefängnisses Bad Freienwalde sagt die aufarbeitungspolitische Sprecherin der bündnisgrünen Landtagfraktion Heide Schinowsky:
"Vor dem Hintergrund der weitgehenden Kritik des Bundesverfassungsgerichts an einem Brandenburger Rehabilitationsverfahren und nach dem öffentlichen Aufschrei ehemaliger Insassen ist der Paradigmenwechsel beim aktuellen Verfahren ein folgerichtiger Schritt. Es ist von großer Bedeutung, nicht nur nach Aktenlage und zudem nach persönlicher Anhörung sowie Zeugenbefragungen zu entscheiden. Die zumeist abschlägig erteilten Urteile waren für die Betroffenen ein herber Schlag - oft verbunden mit Zweifeln am heutigen Rechtsstaat. Ich hoffe, dass öffentliche Verhandlungen in solchen Fällen von der Ausnahme zur Regel werden."
Am Landgericht Frankfurt (Oder) wird am 27. Juni 2019 mit dem Fall von Andre Pahl erstmals öffentlich ein Rehabilitationsverfahren eines ehemaligen Insassen des DDR-Kindergefängnisses Bad Freienwalde verhandelt. Neu ist auch, dass der Betroffene hierbei persönlich angehört und Zeugen zu den damaligen Geschehnissen befragt werden. Das ist ein Paradigmenwechsel: Bisher wurden die Verhandlungen nach Aktenlage, ohne persönliche Anhörung und ohne Zeugenbefragung durchgeführt.
Nach Informationen des Betroffenenvereins "Kindergefängnis Bad Freienwalde e. V." wurden bisher fast alle ähnlich gelagerten Rehabilitations-Anträge abschlägig beschieden. Die Urteile standen u. a. deswegen unter scharfer Kritik, weil sich die die Begründung nahezu ausschließlich auf Akten stützte, die von DDR-Behörden geführt wurden. Darin wurden die Kinder oft per se als Straftäter eingestuft; politische Hintergründe wurden in der Regel nicht aktenkundig. Bereits 2015 rügte das Bundesverfassungsgericht gravierende Fehler von Brandenburger Gerichten beim Rehabilitationsverfahren der ehemaligen Insassin von Bad Freienwalde Norda Krauel. Im darauf folgenden Revisionsverfahren wurde Krauel rehabilitiert.
Im Vorfeld der Abschlusstagung zum Auslaufen des "Fonds Heimerziehung in der DDR" am Mittwoch kritisiert der Verein "Kindergefängnis Bad Freienwalde" die Abwesenheit der zuständigen Familienministerin Franziska Giffey (SPD)
"Ich finde es gelinde gesagt nicht in Ordnung, dass die Familienministerin nicht anwesend sein wird, um uns ehemaligen Heimkindern Rede und Antwort zu stehen. Stattdessen soll es nur ein ausgedrucktes Grußwort geben", kritisiert Vereinssprecher Roland Herrmann.
Die Betroffenen kritisieren vor allem die willkürliche Befristung des Fonds bis zum 31. Dezember 2018 und die demütigende Beantragung der auf Sachleistungen beschränkten Unterstützung der Bundesregierung. Die Brandenburger Landesbeauftragte für die Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur hat zu einem ganztätigen Austausch für den 29. November in das Potsdamer Hoffbauer Tagungshaus geladen.
Roland Herrmann hat sich nach dem angekündigten Fernbleiben in einem Brief mit Gesprächsangebot an die Ministerin gewandt. Die Betroffenen fordern eine Entfristung des Fonds und sprechen sich für den Abbau des bürokratischen Antragsprozedere aus.
Mehr Information zur Abschlusstagung: http://www.aufarbeitung.brandenburg.de/media_fast/5861/Flyer%20Abschlusstagung%20Fonds%20Heimerziehung.pdf
Ehemalige Insassen des DDR-Kindergefängnisses haben heute mit selbstgemachten Kuchen auf dem Marktplatz der Kurstadt das Gespräch mit Bad Freienwaldern gesucht. Zu der Aktion kamen etwa 30 Betroffene zusammen aber nur wenige Einwohner. Neben der musikalischen Begleitung von „Hans die Geige“ nahmen auch Susanne Kschenka von der Landesbeauftragten für die Aufarbeitung und der Bad Freienwalder Bürgermeister Ralf Lehmann an dem Treffen teil. „Die Resonanz war verhalten aber wir wollten wenigsten die Hand reichen. Wir danken ausdrücklich diejenigen die mit uns geredet haben“, resümiert Roland Herrmann vom Verein „Kindergefängnis Bad Freienwalde“.
Der Bürgermeister von Bad Freienwalde Ralf Lehmann kündigte an, ein Gesprächsforum in Zusammenarbeit mit der Landesbeauftragten für Aufarbeitung einzurichten in dem die Situation in dem damaligen Durchgangsheim erörtert werden soll. Die ehemaligen Insassen begrüßten die Ankündigung: „Das Wichtige ist es, miteinander ins Gespräch zu kommen“, sagt Herrmann.
Am 9. November 2018 - ein Jahr nach der Einweihung des Mahnmals vor dem ehemaligen Kindergefängnis - werden ehemalige Insassen mit einer symbolischen Aktion auf dem Markplatz in Bad Freienwalde das Gespräch mit den Einwohnern suchen. Ab 13.30 Uhr wollen die damals als Kinder und Jugendlichen Inhaftierten selbstgemachten Kuchen in der Kurstadt verteilen. "Wir laden alle Bad Freienwalder herzlich ein mit uns in einen Austausch zu treten", sagt Vereinssprecher Roland Herrmann. 14 Uhr werden unter anderem die lokale SPD Landtagsabgeordnete Jutta Lieske, Susanne Kschenka von der Brandenburger Landesbeauftragten zur DDR-Aufarbeitung und der Bad Freienwalder Bürgermeister Ralf Lehmann erwartet.