Die Brandenburger Bundestagsabgeordnete Annalena Baerbock besuchte am 6. Januar 2023 gemeinsam mit ehemaligen Insassen das DDR-Kindergefängnis in Bad Freienwalde. Begleitet wurde sie von der Bundesbeauftragten für die Opfer der SED-Diktatur Evelyn Zupke, der Brandenburger Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur Dr. Maria Nooke, der bündnisgrünen Landtagsabgeordneten Sahra Damus, dem Staatssekretär des Innenministeriums Brandenburg Dr. Markus Grünewald und der Leiterin des Cottbuser Menschenrechtszentrums Heide Schinowsky. Auf dem Gelände des ehemaligen "Durchgangsheimes" in Bad Freienwalde befindet sich heute das Polizeirevier Bad Freienwalde. Im Andenken legten die Teilnehmer*innen eine weiße Rose an dem 2017 errichteten Mahnmal nieder.
"Sie hat Wort gehalten und ihr Versprechen eingelöst, sich mit unserem Anliegen auseinanderzusetzen und sich den Ort unseres Leidens einmal persönlich anzusehen", sagt Roland Herrmann, Vorsitzender des Vereins "Kindergefängnis Bad Freienwalde". Mit Annalena Baerbock hat erstmalig ein Mitglied der Bundesregierung sich das ehemalige Kindergefängnis angeschaut. "Sie war sehr empathisch und hörte uns vor allem zu. In Zeiten, in denen sich andere Politiker oftmals am liebsten selber reden hören, war es ihr wichtig, von unseren Erlebnissen zu erfahren", sagte Herrmann.
Nach dem Rundgang im Haus des Kindergefängnisses sprach sich die Grünen-Politikerin Annalena Baerbock für einen leichteren Zugang ehemaliger SED-Opfer zu finanziellen Hilfen aus. An diesem Ort sehe man, "dass Menschen, die als Kinder, als Jugendliche hier eingesperrt worden sind, diese Erinnerung, diese Schäden, diese Folgen mit ins Grab nehmen werden", sagte Baerbock am Freitag in Bad Freienwalde. Die Bundesaußenministerin äußerte sich in ihrer Funktion als brandenburgische Bundestagsabgeordnete: "Auch mehr als 30 Jahre nach der Friedlichen Revolution bleibt die Aufarbeitung von SED-Unrecht wichtig. Viele der Betroffenen leiden bis heute unter den Folgen und leben viel zu oft in prekärer sozialer Lage. Wir sind verpflichtet, die Opfer zu rehabilitieren und ihre Geschichte zu erzählen", sagte Baerbock.
Die SED-Unrechtsbereinigungsgesetze seien "eine große Errungenschaft, die vielen Betroffenen von SED-Unrecht zu Gute kommen", erklärte die Bundesbeauftragte für die Opfer der SED-Diktatur Evelyn Zupke in Bad Freienwalde. Verschiedene Studien hätten gezeigt, dass die soziale Lage der SED-Opfer weit unter der der Durchschnittsbevölkerung liege. Zupke mahnte, dass insbesondere die Anerkennung von gesundheitlichen Folgeschäden dringend verbessert werden müsse: "Viele SED-Opfer leiden bis heute unter den gesundheitlichen Spätfolgen der politischen Repressionen. Neben körperlichen Schäden gewinnen psychische Erkrankungen, zunehmend an Bedeutung", so die Bundesbeauftragte: "Es ist ein wichtiges Signal, dass die Regierungsparteien das Problem erkannt und sich im Koalitionsvertrag zum Ziel gesetzt haben, Erleichterungen bei der Beantragung und Bewilligung von Hilfen und Leistungen für Opfer der SED-Diktatur, insbesondere für gesundheitliche Folgeschäden zu ermöglichen. Ich werbe für ein grundsätzlich vereinfachtes Verfahren, damit den Opfern schnell und ausreichend geholfen werden kann ".
Die Brandenburger Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur Dr. Maria Nooke unterstrich: "Aus meiner langjährigen Praxis der Beratung ehemals politisch Verfolgter kann ich einerseits bestätigen, dass die Rehabilitierungsverfahren - insbesondere für ehemalige Heimkinder - sich erheblich verbessert haben. Bei den Anerkennungsverfahren für Gesundheitsschäden gibt es jedoch immer wieder unverständliche Entscheidungen, die die Betroffenen nur unzureichend in den behördlichen Entscheidungsprozess mit einbeziehen und durch die sich die Menschen unverstanden und verletzt fühlen. Hier besteht dringender Handlungsbedarf,., um den Zugang Betroffener zu Leistungen der Beschädigtenversorgung zu verbessern."
Die Brandenburger Landtagsabgeordnete Sahra Damus (B90/Die Grünen) wies zudem darauf hin, dass die Aufarbeitungsarbeit weiter gestärkt werden müsse: "Es war und ist sehr wichtig, dass ehemalige Insassen des DDR-Kindergefängnisses sich für die Errichtung dieses Mahnmals stark gemacht haben. Wer heute in das Polizeirevier geht, wird dadurch an die dunkle Vergangenheit erinnert. Die persönlichen Berichte der Insassen sind schockierend und sehr bewegend. Ich bin froh, dass sie die Kraft gefunden haben, offen darüber zu sprechen und ein Gedenken sowie ihre Rehabilitation einzufordern. Wir sollten sie weiterhin unterstützen. Ich hoffe insbesondere, dass die begleitende Ausstellung bald einen dauerhaften Ort findet", so die Frankfurter Landtagsabgeordnete.
Aus dem Haus des Unrechts sei ein Haus des Rechts geworden, sagte Markus Grünewald in seinem Statement vor dem als preußische Haftanstalt errichteten Gebäude.
Auch die Leiterin des Cottbuser Menschenrechtszentrum Heide Schinowsky setzt sich mit ihrem Verein für die Aufklärungsarbeit ein "Seit der Gründung vor über 15 Jahren befasst sich der Verein nicht nur mit dem hier geschehenen Unrecht, sondern blickt bewusst darüber hinaus. Das war und ist den Vereinsmitgliedern sehr wichtig". Ehemalige politische Häftlinge der DDR gründeten im Oktober 2007 den Verein Menschenrechtszentrum Cottbus e. V. (MRZ), der seit 2011 Eigentümer des ehemaligen Zuchthaus' Cottbus ist. Im Zentrum der Arbeit der Gedenkstätte steht die Auseinandersetzung mit politischem Unrecht während der NS- und der SED-Diktatur. Um an das "Kindergefängnis Bad Freienwalde" zu erinnern, wurde am 3. Oktober 2018 auf dem Gelände des Zuchthaus' Cottbus eine große Informationstafel eingeweiht.
Überschattet wurden der Besuch und vor allem das Gedenken durch eine lautstarke Gruppe von Bad Freienwaldern, darunter AfD Landtagsabgeordnete und bekennende Reichsbürger, die gegen die Gäste hetzten. "Wir sollten laut Plakaten an die Ostfront geschickt werden", berichtet Herrmann entsetzt. Die Vertreter des Vereins "Kindergefängnis Bad Freienwalde" kritisierten den Protest als "unmöglich und unpassend". Schließlich gehe es an diesem Tag um sie und nicht um die deutsche Außenpolitik. Der lautstarke Protest mit Parolen wie "Hau ab" sei für sie ein "Schlag ins Gesicht", so Herrmann. Um die ehemaligen Insassen weiter zu demütigen, spielten die Gegendemonstranten die alte Kaiserhymne "Heil Dir im Siegerkranz", just in dem Moment, als die Delegation sich das alte Gebäude von innen ansahen. Vermutlich nicht ohne Hintergedanken, denn als Bad Freienwalder kennt man die Historie des Hauses. Das Gefängnis aus der Kaiserzeit wurde 1968 der Jugendhilfe Frankfurt (Oder) zur Nutzung übergeben. Die DDR-Jugendhilfe machte es dann ohne Umbau, d. h. unter Beibehaltung des Gefängnischarakters zum Kindergefängnis, berichtet Herrmann.
Das Niederlegen einer weissen Rose am Mahnmal haben sich die Teilnehmer dennoch nicht nehmen lassen. "Uns war klar, wir werden dem Mob auf der Straße, die uns als Asoziale bezeichneten, nicht weichen", erklärte Herrmann. "Allen voran hat Frau Baerbock zusammen mit uns zum Abschluss eine Blume ans Mahnmal gebracht. Ein kurzes Innehalten war aber nicht möglich, weil der Mob kreischte und trötete. Das war eine Schande sondergleichen und wahrlich kein Ruhmesblatt für die Stadt", sagte Herrmann.