Am Landgericht Frankfurt (Oder) wird am 27. Juni 2019 mit dem Fall von Andre Pahl erstmals öffentlich ein Rehabilitationsverfahren eines ehemaligen Insassen des DDR-Kindergefängnisses Bad Freienwalde verhandelt. Neu ist auch, dass der Betroffene hierbei persönlich angehört und Zeugen zu den damaligen Geschehnissen befragt werden. Das ist ein Paradigmenwechsel: Bisher wurden die Verhandlungen nach Aktenlage, ohne persönliche Anhörung und ohne Zeugenbefragung durchgeführt.
Nach Informationen des Betroffenenvereins "Kindergefängnis Bad Freienwalde e. V." wurden bisher fast alle ähnlich gelagerten Rehabilitations-Anträge abschlägig beschieden. Die Urteile standen u. a. deswegen unter scharfer Kritik, weil sich die die Begründung nahezu ausschließlich auf Akten stützte, die von DDR-Behörden geführt wurden. Darin wurden die Kinder oft per se als Straftäter eingestuft; politische Hintergründe wurden in der Regel nicht aktenkundig. Bereits 2015 rügte das Bundesverfassungsgericht gravierende Fehler von Brandenburger Gerichten beim Rehabilitationsverfahren der ehemaligen Insassin von Bad Freienwalde Norda Krauel. Im darauf folgenden Revisionsverfahren wurde Krauel rehabilitiert.
Im Vorfeld der Abschlusstagung zum Auslaufen des "Fonds Heimerziehung in der DDR" am Mittwoch kritisiert der Verein "Kindergefängnis Bad Freienwalde" die Abwesenheit der zuständigen Familienministerin Franziska Giffey (SPD)
"Ich finde es gelinde gesagt nicht in Ordnung, dass die Familienministerin nicht anwesend sein wird, um uns ehemaligen Heimkindern Rede und Antwort zu stehen. Stattdessen soll es nur ein ausgedrucktes Grußwort geben", kritisiert Vereinssprecher Roland Herrmann.
Die Betroffenen kritisieren vor allem die willkürliche Befristung des Fonds bis zum 31. Dezember 2018 und die demütigende Beantragung der auf Sachleistungen beschränkten Unterstützung der Bundesregierung. Die Brandenburger Landesbeauftragte für die Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur hat zu einem ganztätigen Austausch für den 29. November in das Potsdamer Hoffbauer Tagungshaus geladen.
Roland Herrmann hat sich nach dem angekündigten Fernbleiben in einem Brief mit Gesprächsangebot an die Ministerin gewandt. Die Betroffenen fordern eine Entfristung des Fonds und sprechen sich für den Abbau des bürokratischen Antragsprozedere aus.
Mehr Information zur Abschlusstagung: http://www.aufarbeitung.brandenburg.de/media_fast/5861/Flyer%20Abschlusstagung%20Fonds%20Heimerziehung.pdf
Ehemalige Insassen des DDR-Kindergefängnisses haben heute mit selbstgemachten Kuchen auf dem Marktplatz der Kurstadt das Gespräch mit Bad Freienwaldern gesucht. Zu der Aktion kamen etwa 30 Betroffene zusammen aber nur wenige Einwohner. Neben der musikalischen Begleitung von „Hans die Geige“ nahmen auch Susanne Kschenka von der Landesbeauftragten für die Aufarbeitung und der Bad Freienwalder Bürgermeister Ralf Lehmann an dem Treffen teil. „Die Resonanz war verhalten aber wir wollten wenigsten die Hand reichen. Wir danken ausdrücklich diejenigen die mit uns geredet haben“, resümiert Roland Herrmann vom Verein „Kindergefängnis Bad Freienwalde“.
Der Bürgermeister von Bad Freienwalde Ralf Lehmann kündigte an, ein Gesprächsforum in Zusammenarbeit mit der Landesbeauftragten für Aufarbeitung einzurichten in dem die Situation in dem damaligen Durchgangsheim erörtert werden soll. Die ehemaligen Insassen begrüßten die Ankündigung: „Das Wichtige ist es, miteinander ins Gespräch zu kommen“, sagt Herrmann.
Am 9. November 2018 - ein Jahr nach der Einweihung des Mahnmals vor dem ehemaligen Kindergefängnis - werden ehemalige Insassen mit einer symbolischen Aktion auf dem Markplatz in Bad Freienwalde das Gespräch mit den Einwohnern suchen. Ab 13.30 Uhr wollen die damals als Kinder und Jugendlichen Inhaftierten selbstgemachten Kuchen in der Kurstadt verteilen. "Wir laden alle Bad Freienwalder herzlich ein mit uns in einen Austausch zu treten", sagt Vereinssprecher Roland Herrmann. 14 Uhr werden unter anderem die lokale SPD Landtagsabgeordnete Jutta Lieske, Susanne Kschenka von der Brandenburger Landesbeauftragten zur DDR-Aufarbeitung und der Bad Freienwalder Bürgermeister Ralf Lehmann erwartet.
Hier findet Ihr einen Mustertext für den Antrag zu Wiederaufnahme Eures Rehabilitierungsverfahren. Einfach folgende Formulierung nutzen, oder das Word-Dokument herunterladen und mit Euren Daten ersetzen:
Max Mustermann
Musterstrasse 123
12345 MusterstadtRehabilitierungskammer
Müllroser Chaussee 5515236 Frankfurt/Oder
Wiederaufnahmeantrag Aktenzeichen: XXXX
Sehr geehrte Damen und Herren der Rehabilitierungskammer,
hiermit stelle ich den Antrag auf Wiederaufnahme meines Rehabilitierungsverfahren mit oben genanntem Aktenzeichen
und berufe mich auf denBeschluss des Rehabilitierungsverfahrens mit dem Aktenzeichen:41 BRH 28/16 Landgericht Frankfurt/Oder vom 04.10.2018.
Mit freundlichen Grüßen
Max Mustermann
Am 3. Oktober wurde in der Gedenkstätte Zuchthaus Cottbus eine Informationstafel des Vereins "Kindergefängnis Bad Freienwalde" enthüllt. An der Präsentation der Tafel nahmen neben ehemaligen Insassen auch Dieter Dombrowski, Landtagsabgeordneter (CDU) und Vorsitzender des Vereins Menschenrechtszentrum Cottbus e. V., die Landtagsabgeordnete Heide Schinowsky (Bündnis 90/Die Grünen), Sylvia Wähling, Geschäftsführerin vom Menschenrechtszentrum Cottbus e. V./Gedenkstätte Zuchthaus Cottbus sowie der Brandenburger Justizminister Stefan Ludwig (LINKE) teil.
Der Verein „Kindergefängnis Bad Freienwalde“ bezeichnete die Aufnahme von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen möglicher Tötungsdelikte von inhaftierten Kinder und Jugendlichen als einen „dringend notwendigen Schritt“. Der Betroffenenverein hatte der Brandenburger Staatskanzlei im April 2018 Unterlagen und Erkenntnisse über Todesfälle übermittelt. Dabei wurde auch eine Nachbildung des Grabsteines von Egon Hönicke an Ministerpräsidenten Dietmar Woidke übergeben. Hönicke starb im Jahr 1971 im Alter von 16 Jahren nach nur zwei Tagen in Haft aus bis heute ungeklärten Umständen.